Die Geschichte Kurtscheids
Wirtschaft und Erwerb


Man ernährte sich, wie auch in anderen Westerwälder Dörfern, im 18.-, im 19.- und auch noch Anfangs des 20. Jahrhunderts mehr schlecht als recht von Ackerbau und Viehzucht in meist kleinbäuerlichen Betrieben. Manche fanden auch Arbeit in bescheidenen Bergbauanlagen wie in den Eisenerz-Stollen „Kistenberg", „Steinhahn", „Hähn" und „Hagert".

Das „gelesene" Erz wurde per Pferdewagen zur Clemens-Hütte (bei Bürder an der Wied), zum Rasselstein oder zur Concordiahütte in Bendorf transportiert. Eine Auflistung aller gewerblichen Unternehmen der Bürgermeisterei Neuerburg im Jahr 1872 zeigt, dass zu dieser Zeit in der Bilsheck noch eine Eisensteingrube mit 15 Beschäftigten betrieben wurde.

Dass die wirtschaftlichen Verhältnisse noch im 19. Jahrhundert schlecht waren, zeigen auch die vielen Auswanderungen aus dem Dorf in ferne Länder. Neun junge Männer oder Familienväter mit ihren Familien fanden den Weg nach Amerika, nach Österreich, Bosnien und gar nach Australien. Einige wanderten aus zu den Kohlengebieten des Niederrheins oder nach Hamburg.

Prälat SchützDie Verhältnisse besserten sich erst, als es ab etwa 1890 die Möglichkeit gab, in den neu entstehenden Schwemmsteinfabriken bei Neuwied oder beim Stahl- und Walzwerk Rasselstein Arbeit zu finden. Auch der Fremdenverkehr kam Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Zunächst in Rengsdorf, wo schon 1889 der Verschönerungsverein „Unterer Westerwald" gegründet wurde, und als Gründungsmitglied war u.a. Pastor Schütz dabei, der seit zwei Jahren in Kurtscheid wirkte.

LuftkurortBis Anfang des 2. Weltkrieges erfreute sich Kurtscheid, das inzwischen das Prädikat „Luftkurort" führen durfte, eines regen Zulaufes an Kurgästen, die meist aus Köln, aus Düsseldorf oder aus dem Ruhrgebiet hierhin zur „Sommerfrische" kamen und im Gasthaus „Wilhelmsruh", im Gasthof „Haus Westerwald", in der „Pension Hermann" oder im „Haus Ilsenstein" wohnten. Mit 60 Sommerkurgästen im Durchschnitt war das ein guter Erfolg, wenn man bedenkt, dass es zu der Zeit nur etwa 400 Einwohner im Dorf gab.

Nach dem Krieg wieder aufgelebt, kam der Fremdenverkehr doch etwa 20 Jahre später zum Erliegen. Als Wirtschaftsfaktor – so kann man sagen – wurde er durch eine verstärkte Ansiedlung von Gewerbebetrieben, die teils aus dem Bereich des Dorfes kamen, im heutigen Gewerbegebiet ersetzt. Kurtscheid beherbergte seit jeher schon Handwerker fast aller Richtungen, seit den 20er Jahren kam eine Metzgerei und eine Bäckerei hinzu und die ausgeglichene dörfliche Infrastruktur hat sich bis in die heutigen Tage erhalten.

BlechfabrikAb etwa 1890 hatte sich überhaupt in Kurtscheid das Erwerbsleben zum Besseren gewendet, was eng mit dem Namen des damaligen Pastors und späteren Prälaten Prof. Jakob Hubert Schütz verbunden ist, der von 1888 bis 1897 hier wirkte.

Außer seiner seelsorgerischen Tätigkeit, begünstigt durch die ihm eigenen weltweiten Beziehungen, hat er unglaublich viel in dieser kurzen Zeit für die wirtschaftliche Entwicklung des Dorfes geleistet. Schon ein Jahr nach Beginn seines Wirkens veranlasste er die Niederbieberer Blechwarenfabrik Buchholtz (später Fa. Aubach) einen Zweigbetrieb in Kurtscheid zu errichten.

Pastor Schütz vermittelte auch für Kurtscheider Frauen und Mädchen Heimarbeit. Für die Knopffabrik Krings (noch heute existent) wurden Zahnbürsten teilgefertigt und Knöpfe auf Kartons aufgereiht. Das wichtigste soziale Werk von Schütz jedoch war die Gründung der „Westerwälder Obst und Heidelbeer – Verwertungsgenossenschaft GmbH" im Jahr 1895.

Angeregt war er durch den Umstand, dass Frauen und Mädchen vor allem montags schwere Körbe voll Heidelbeeren, die sie sonntags mit ihren Familien gesammelt hatten, nach Neuwied schleppten. Sie erhielten beim Verkauf dort 3 bis 5 Pfennige pro Pfund, während die Händler den 5 bis 9- fachen Betrag erlösten.

MorpelsfabrikDie geplante Produktions- und Absatzgenossenschaft sollte helfen, die Armut der Dorfbewohner zu lindern und den Zwischenhandel auszuschalten.

Pastor Schütz fand begeisternde Unterstützung für die Idee. Der Fürst zu Wied versprach Hilfe und die Schwester des Fürsten, Königin Elisabeth von Rumänien, spendete einen großen Betrag. Viele prominente Förderer verstand er zu verpflichten. Zur Besprechung und Gründung der Genossenschaft kamen u.a. sieben preußische Landräte gleichzeitig im Kurtscheider Pfarrhaus zusammen. Pastor Schütz übernahm die Gesamtleitung, Graf Westerholt von Schloss Arenfels bei Bad Hönningen sollte Vorsitzender des Aufsichtsrates werden und Prinz Wilhelm zu Wied übernahm das Protektorat.MorpelsfabrikAuf einer größeren Fläche im Weidenbruch, von der Gemeinde erworben, baute die Genossenschaft das Betriebsgebäude (siehe Bild rechts) mit einem großen Lagerkeller. Pastor Schütz warb unermüdlich im gesamten Westerwald mit seinen Vorträgen neue Mitglieder und organisierte einzelne Bezirke.

Während die Beeren aus den Waldungen der Kurtscheider Umgebung hier gekeltert und verarbeitet werden sollten, richtete man in entfernteren Ortschaften Annahme- und Versandstationen ein.

Bei der Aufnahme des Betriebes zählte die Genossenschaft 900 Mitglieder, darunter alle 66 Familien aus Kurtscheid und nach der Heidelbeerernte des Jahres 1896 lagerten bereits 80000 l Heidelbeerwein im Keller der Genossenschaft, außerdem noch große Mengen an Brombeer- und Johannisbeerwein, verschiedenartige Obstsäfte und Marmeladen. Minderwertige Beeren und Abfälle wurden zu Schnaps gebrannt.

Der Heidelbeerwein glich in der Farbe einem feinen französischen Rotwein, war schmackhaft und billig und gelangte in allen Gaststätten der Umgebung zum Ausschank. Wie Pastor Boden in seinem Heimatbuch von 1961 schrieb, kam alle Welt nach Kurtscheid, um „Westerwälder (Morbels)- Wein" zu trinken. Im Juli 1896 fanden hier immerhin 18 Kurtscheider Arbeit und Verdienst, wie aus einer Anmeldeliste zur Unfallversicherung erkennbar ist.

Der wirtschaftliche Verlauf der Genossenschaft in den folgenden Jahren allerdings war äußerst problematisch. Pastor Schütz verließ das Dorf 1897 hoch verschuldet, um sich in Köln (später Professor und Prälat) dem Lehrfach zu widmen. Als sich schließlich ein nachhaltiger Absatzmangel einstellte, musste das Unternehmen im Jahr 1912, nach nur 17-jährigem Bestehen eingestellt werden. Der Fürst zu Wied übernahm als größter Gläubiger das Gebäude und machte es zu einem wiedischen Forsthaus. Viele Kurtscheider Familien suchten in den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkrieges in dem großen Keller Schutz vor dem Artilleriebeschuss.

Nach 1963 wechselte das Gebäude mit großem Grundstück mehrfach die Besitzer und ist inzwischen nach mehreren Umbauten ein großzügiges Landhaus geworden.

Die kleinindustrielle Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg begann eigentlich etwa 1955 mit der Ansiedlung des Tochterbetriebes einer Aluminiumverarbeitenden Firma, die in Haan, Rhld. ihren Hauptsitz hatte. Deren Besitzer Ernst Brinck war zu dieser Zeit Kurtscheider Jagdpächter.

Für den Bau ihrer ersten Produktionshalle hier wurde ein Platz im Weidenbruch ausgewiesen, was der Anfang eines großzügigen Gewerbegebietes war, das sich, in drei Zeitabschnitten angelegt, mit insgesamt ca. 17 ha. über den Gierensberg unterhalb der L 257 bis zum Waldrand zur Gemarkung Bonefeld erstreckt.



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Kurtscheid ist die höchtgelegene Gemeinde im Kreis Neuwied mit 400 m (NN) und liegt inmitten des 446 qkm großen Naturpark Rhein-Westerwald auf einer für den Niederwesterwald typischen welligen Hochfläche.

Kurtscheid im Naturpark Rhein-Westerwald

Kurtscheid im Naturpark Rhein-Westerwald
Kurtscheid im Naturpark Rhein-Westerwald